PREMIERE am 3. April 2004:

"CELAN" VON PETER RUZICKA AM OPERNHAUS KÖLN

Weitere Vorstellungen am: 6., 11., 17., 23. April; 2., 7., 13., 15. Mai 2004 

celan© Klaus Lefebvre

Weitere Pressestimmen









Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.2004, Nr. 84 / Seite 42


Unentrinnbares Grauen

Peter Ruzicka dirigiert seinen "Celan", inszeniert von Günter Krämer, an der Kölner Oper


Was wäre eine Kunst, die nicht das Äußerste, das Unmögliche riskierte? "Fidelio", "Tristan", "Wozzeck" oder Zimmermanns "Soldaten" leben vom exzessiven Anspruch, Schreckensvolles ästhetisch zu realisieren, dass dieses weder artifizieller Glättung noch kruder Naturalistik verfällt: Ein Balanceakt, der kaum gelingen kann. Zumal über jedem Versuch, das Unbegreifliche des Holocaust künstlerisch nachvollziehbar werden zu lassen, hängt das Damoklesschwert von Adornos Satz: dass es barbarisch sei, nach Auschwitz noch ein lyrisches Gedicht schreiben zu wollen. Paul Celan ist in seiner "Todesfuge" dem Unlösbaren immerhin nahegekommen, auch Peter Weiss' "Ermittlung" mit Luigi Nonos bewegender Musik lässt sich nicht als "misslungen" abtun. Und wer immer sich mit dem Antisemitismus in seiner exzessivsten Ausformung befasst, wird vom Leiden an Deutschland nicht loskommen. Wenn Peter Ruzicka, ab September 2006 der Salzburger Festspielintendantenbürde ledig, eine Hölderlin-Oper plant, so wird man jetzt schon davon ausgehen können, dass auch sie einem Schmerzensmann, unter die Deutschen geraten, gelten wird. Ob nicht auch Mauricio Kagel bei seiner "Liederoper"über nachtsüchtige, romantische Klavierlieder "Aus Deutschland" an die "Todesfugen"-Zeile gedacht hat: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"? Ruzicka jedenfalls hat das Wagnis auf sich genommen, Paul Celan, den er kurz vor seinem Pariser Freitod 1970 noch kennenlernte, zu Sujet wie Subjekt des Musiktheaters zu machen - unter der Voraussetzung, daß kein Vers Celans vertont würde: ein sprachlich-semantisches Bilderverbot. Ruzickas "Musiktheater in sieben Entwürfen" (Text: Peter Mussbach) verweist schon im Titel auf das Moment des Unabgeschlossenen, ins Offene Weisenden. Weder um Kunstfeier noch um Genie-Heroisierungskult sollte es gehen, eher ums fragmentarische Zusammensuchen zerborstener Persönlichkeits-Partikel, kaleidoskopisch hin und her geschüttelt in wirren Zeitläuften zwischen Vorkriegs-Bukarest und heute. Ruzicka, Leiter der Münchner Biennale für Neues Musiktheater, misstraut aus gutem Grund planem Erzähltheater: Schon narrative Linerarität und Kausalität würden "Sinn" suggerieren, gegenüber einer vielfach zerrissenen Wirklichkeit fast frivol. Auch insofern bleibt Ruzickas "Celan" vielfache Herausforderung. Nach der Dresdner Uraufführung im März 2001 riskierten Mainz und Darmstadt vor einem Jahr die Zweitversion. Als dritte folgte nun die Kölner Oper, die einen besonderen Authentizitätsfaktor bereithielt: Ruzicka, auch als Dirigent eigener Werke tätig, aber auch von Mahler, Henze und Allan Pettersson, übernahm die musikalische Leitung; schon in Dresden hat er einige Aufführungen von Marc Albrecht übernommen. Souverän führte er das Kölner Orchester durch die schwierige Partitur, aktivierte die perkussiven Brutalismen, ohne zu übertreiben, und verlieh den quasi Mahlerschen Abgesangs-Streicher-Linien beredt elegischen Glanz. In diesem weiten Fächer musikalischer Charakteristik hat "Celan" seine dringliche Qualität noch in den Extremen der akustischen Überwältigung des einsamen Subjekts durch den schier martialischen Apparat wie in der zerbrechlich-resignativen Einstimmigkeit nach dem Vorbild des Beginns von Mahlers Zehnter oder des Schlusses von Schönbergs "Moses und Aron": "O Wort, Du Wort, das mir fehlt." Dies jedenfalls ist eine alles andere als plakative Umsetzung einer paradigmatisch scheiternden Dichterexistenz. Dass selbst in solch lyrisch-desperater Entrückung, vollends im mehrfach wiederholten "Jerusalem" des chorisch erratischen vierten "Entwurfs", ein affirmativer Ton nicht ganz verschwinden will, gehört zur anscheinend unabweisbaren Grundschwierigkeit eines solchen Werkes.

Nach Claus Guth und Gottfried Pilz hat nun Günter Krämer die Regie übernommen, der auf die Video-Komponente verzichtet, auf andere Weise Kontrast erzeugt. Auch seine Bühne (Ulrich Schulz) ist schwarz, doch auf drei Leuchtstelen erscheinen Adornos Diktum, später Teile der "Todesfuge": eine Art Licht-Text-Installation. Zusätzlich setzt Krämer auf drastische Subjekt-Kollektiv-Polarität: Der einsame Celan wird von einer Ensemblephalanx von Celan-Masken drangsaliert, und wie eine surreal-grelle James-Ensor-Menge, nur in Schwarz, dringt der Chor der ihn des Plagiats Bezichtigenden auf ihn ein: kinetischer Masse-Mensch-Horror, Treibkraft zum Selbstmord. Noch einen anderen Gegensatz reizt Krämer aus: den zwischen dem mehrfachen Außenseiter und den Gruppierungen offiziell vital-heiler Volkstümlichkeit, blond-blauäugiger, straff-lieblicher Zöpfchen- und Badehosen-Fröhlichkeit, "Kraft durch Freude"-Glamours, von Nazis wie Kommunisten propagiert - vielleicht für den Desperado nicht einmal unverlockend. Am Schluß kommt doch zaghaft Realität ins Spiel: Von einer Brücke sucht einer mit Celan-Maske und Taschenlampe die Seine ab. Die Kölner Aufführung des komplex heiklen Werks bot eine eindringliche Ensembleleistung um die beiden Celan-Protagonisten Thomas Mohr und Miljenko Turk.

Gerhard R. Koch



Sächsische Zeitung - Donnerstag, 4. März 2004


Eine Oper für die Opfer

Nach nur drei Jahren ist Ruzickas „Celan" abgespielt


Von Jens Daniel Schubert

celan_kleinEs begann im hellen Zuschauerraum und endete in der absoluten Finsternis wie die Umkehrung von Beethovens „aus der Dunkelheit ans Licht". Mit dem letzten Ton versinkt das Theater mit seinen Zu- schauern im Nichts. Die 14. Vorstellung von „Celan" (Musik von Peter Ruzicka) war die letzte im Dresdner Opernhaus. Im Rahmen der Dresdner Festtage „Musiktheater des 20. Jahrhunderts" wurde die Uraufführungs-Inszenierung von Claus Guth am Dienstag nach nur knapp drei Jahren abgespielt. Leere Saalreihen zeugen von mangelndem Publikumsinteresse, doch Intendant Uecker zog im anschließenden Publikumsgespräch eine positive Bilanz. Modernes Musiktheater verlange vom Publikum, sich einzulassen. Das bringe nie viele Zuschauer, aber das Erreichte könne sich sehen lassen. Die Kritiker zur Premiere waren teils anderer Meinung.

Celan, das ist eine besondere Musik und Ästhetik, eine besondere Dramaturgie und Problematik: Leben und Tod des jüdischen Dichters, dessen Familie durch den Holocaust umkam. Der Finger liegt also auf der „Wunde des 20. Jahrhunderts", das Unsägliche muss in Worte und Töne, das Unbeschreibliche in Bilder und Szenen gefasst werden. Kann man sich dem Thema verweigern? Darf man von einem Opfer wegsehen, das am Wegsehen verzweifelte? Darf man kritisch hinterfragen? „Tätervolk" als Unwort des Jahres und die „Affäre Friedman" sind Stichpunkte zu heutigen Möglichkeiten, „Celan" zu rezipieren.

Wenn man sich einlässt, ist „Celan" beeindruckend: in seiner Musik und musikalischen Gestaltung - die letzte Vorstellung wurde vom Komponisten Peter Ruzicka geleitet -, in den gefundenen szenischen Lösungen von Regisseur Claus Guth und Ausstatter Christian Schmidt, den filmischen Elementen und der Darstellung. Hervorragend waren die Protagonisten Andreas Schmidt und Sabine Brohm, imponierend die vielen anderen Darsteller, faszinierend der Chor, ausgezeichnet die Staatskapelle.

Doch was ist, wenn man sich nicht einlässt? Darf man das?



Peter Ruzicka als Dirigent in Hamburg


dirigent01Peter Ruzicka dirigierte am 13. und 14. Dezember 2003 die Hamburger Symphoniker und brachte dabei auch ein eigenes Werk, das "Nachtstück" aus dem Jahr 1997, zur Aufführung. Die Tageszeitung „Die Welt" kommentiert in ihrer Ausgabe vom 16. Dezember 2003:


Hamburger Symphoniker: Wagner gewagt - gewonnen


Zur Klarinette hat der Komponist, Intendant und Dirigent Peter Ruzicka ein ganz besonderes Verhältnis. Erst im Oktober stellten er und Sharon Kam als Solistin sein vor drei Jahren in Donaueschingen uraufgeführtes Werk "Erinnerung" im Rolf Liebermann -Studio des NDR vor. Insgeheim dürfte er vielleicht bedauert haben, mit der exquisiten Klarinettistin Nicola Jürgensen bei seinem Gastdirigat der Hamburger Symphoniker am Sonntag das Stück nicht gleich wieder auf ein Hamburger Programm setzen zu können. Mit ihrem samtweichen, perfekt intonierten Ton, den präzisen Konturen und dem zauberhaften Glanz ihres Spiels hätte die Solo-Klarinettistin des WDR-Sinfonieorchesters diesen anspruchsvollen Part gleichfalls mit Bravour bewältigt. Stattdessen erklang zur Einstimmung Ruzickas "Nachtstück" (aufgegebenes Werk), eine frühere Komposition, die weit eher in die kontemplative Dramaturgie dieses aufregenden Konzertabends passen sollte. Vier Mal setzten die Streicher in scharfen Flageolettes an, über die sich ein heikles Trompetensolo des hervorragenden John Godbehere legte. Wie zerspringendes Glas brachen diese Phrasen immer wieder ein, ohne dass der schwebende Zustand der Musik tatsächlich verlassen wurde. Schwindel erregend waren die Auf- und Abwärtsbewegungen der kurzen Bläsereinwürfe, bis herbe Impulse in einem gewaltigen Crescendo kulminierten. Die Erregung erlosch in tonlosem "weißen Rauschen", das Ruzicka mit watteweichen Schlägen auffing und in eine zum Zerreißen gespannte Ruhe überführte. Hatten die Hamburger Symphoniker in dieser musikalischen Inszenierung des Zerfallens und Wiedererstehens schon ihre hohe Klangkultur bewiesen, so sollten sie bei Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur erst recht überzeugen. Duftig-leicht und in sehr ruhigem Tempo legte Ruzicka die Exposition des Allegros an, bevor Jürgensen in silbrig-schlankem Ton einsetzte. Geschickte Atmer, eine stete Zurücknahme bei auslaufenden Phrasen und kontrollierte Dynamik zeichneten ihr Spiel aus.

Richard Wagners "Parsifal", aus dem sieben Instrumental-Fragmente erklangen, steht - dem eingangs erklungenen "Nachtstück" vergleichbar - im Zeichen der Verweigerung. Nur ist es hier der Gral als Gegenentwurf zur modernen Welt, der die Vision eines friedlichen Zusammenlebens von Mensch und Natur im Schopenhauerschen Sinne symbolisiert. Voller Schmelz und Emphase trugen die Streicher das diatonisch aufsteigende Abendmahlthema vor, dem die Bläser mit einem feierlichen Choral antworten. Doch der Glauben ist durch die Triebe des Menschen und den Zauberer Klingsor bedroht, der im aggressiven Vorspiel zum zweiten Aufzug seine verführerischen Schlingen auswirft. Ruzicka benutzt dafür keine zackig-großen Gesten wie Christian Thielemann, entlädt damit aber kein minder packendes Kräftepotenzial. Schade, dass er bislang noch keine ganze Wagner-Oper dirigiert hat. Ein exzellentes Orchester dafür hätte er in den brillanten Hamburger Symphonikern jedenfalls allemal gefunden.

hpe



Soeben erschienen:


disko17 Ruzicka:
- Scorribanda sinfonica sopra la tomba di una Maratona für Orchester (2001)

- Antifone für 11 Solostreicher, Bläser und Schlagzeug (1960)

CD bei www.amazon.de 


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Die drei Orchesterwerke Hans Werner Henzes auf dieser CD umspannen einen Zeitraum von 50 Jahren, vom 1950 komponierten 1. Konzert für Klavier und Orchester des gerade 24-jährigen Henze über Antifone für 11 Solostreicher, Bläser und Schlagzeug, um die Jahreswende 1959/60 entstanden, bis Scorribanda sinfonica sopra la tomba di una Maratona für Orchester aus dem Jahr 2001, einem Auftragswerk des NDR Sinfonieorchesters zum 75. Geburtstag Hans Werner Henzes. In „Scorribanda sinfonica", was so viel wie „sinfonischer Raubzug" bedeutet, betrachtet der Komponist seine 1956 entstandene Ballettmusik „Maratona" aus einem Abstand von Jahrzehnten neu. Henze: „Elemente des älteren Stücks kommen und gehen wie Schatten unter der Oberfläche des neuen Werks, wie vage Erinnerungen, Bilder von jungen Leuten, die Schmerz und Verzweiflung erleiden im Überlebenskampf der erbarmungslosen modernen Welt."

Diese Neuerscheinung mit Orchesterwerken von Hans Werner Henze, eingespielt vom NDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Peter Ruzicka, ist die Fortsetzung der im Jahre 2001 erschienenen Henze-CD „Drei Sinfonische Etüden / Quattro Poemi / Nachtstücke und Arien / La selva incantata - Der verwunschene Wald" (WER 66372). Eine dritte CD mit Orchesterwerken von Hans Werner Henze ist in Vorbereitung.

(09/2003)



Stadt Braunschweig verleiht Louis Spohr Musikpreis 2004 an Peter Ruzicka


ruzicka_peter_01Dem Komponisten, Dirigenten und Künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele Peter Ruzicka wird im kommenden Jahr von der Stadt Braunschweig der „Louis Spohr Musikpreis Braunschweig" verliehen. Die Übergabe des mit 10.000 Euro dotierten Preises wird am 14. März 2004 im Rahmen des siebenten Sinfoniekonzertes des Staatsorchesters Braunschweig stattfinden. Die Entscheidung der Jury für die Verleihung des Preises an Peter Ruzicka begründet sich auf sein kompositorisches, in sich abgeschlossenes Gesamtwerk und seine herausragenden Vermittlungstätigkeiten für die zeitgenössische Musik.

Ausgehend von der ehrenamtlich-bürgerschaftlichen „Initiative Louis Spohr" haben sich die Partner Richard Borek Stiftung, Stiftung NORD/LB-ÖFFENTLICHE und Braunschweiger Vereinigter Kloster- und Studienfonds mit dem Staatstheater Braunschweig und der Stadt Braunschweig in dem Bestreben verbunden, gemeinsam den "Louis Spohr Musikpreis Braunschweig" zu stiften. Dieser Musikpreis ist im Jahr 2002 mit dem Ziel konzeptioniert worden, das Leben und insbesondere das opulente Werk des 1784 in Braunschweig geborenen und sehr bedeutenden Komponisten, Violinvirtuosen, Dirigenten und Musikpädagogen Louis Spohr zu würdigen und wieder stärker in das Bewusstsein der Musikliebhaber zu heben. Bereits 1953 stiftete die Stadt Braunschweig den sogenannten Ludwig Spohr, der bis 1994 vergeben wurde.

Der neue Preis wird zukünftig alle drei Jahre das Schaffen eines bedeutenden lebenden zeitgenössischen Komponisten oder einer Komponistin, die der Musik der Gegenwart innovative Perspektiven eröffnet und dem europäischen Musikleben neue Wege gewiesen hat, würdigen.
(20.06.2003)



Bericht von Gerhard Rohde in der nmz 2001/04, Seite 33-34 / 50. Jahrgang, April


Trauma der Erinnerung

Peter Ruzickas erste Oper „Celan" in Dresden


An der Sächsischen Staatsoper in Dresden wurde Peter Ruzickas erste Oper, die als Titel den Namen des Dichters Celan trägt, uraufgeführt. „Celan" entstand in den Jahren 1997 bis 1999 in Zusammenarbeit mit dem Opernregisseur Peter Mussbach, der das Libretto verfasste. Regie führte Claus Guth, dessen Salzburger Festspielinszenierungen von Berios „Cronica del luogo" und Glucks „Iphigenie auf Tauris" Aufsehen erregten. Dirigent der Uraufführung war der Darmstädter Generalmusikdirektor Marc Albrecht. Die denkbar besten Köpfe also hatten sich für die „Création" zusammengefunden. Das Ereignis dieser Aufführung aber präsentierte sich weniger nach außen als vielmehr ins Innere unserer Empfindungen, unseres Denkens und Fühlens, unserer Erinnerungen: eine Aufforderung zum Nachdenken.

Paul Celan, in Czernowitz in der Bukowina 1920 geboren. Der Vater stammte aus orthodox-jüdischer Familie, auch die Mutter war Jüdin. Beide sprachen Deutsch, denn die Bukowina gehörte bis 1919 zur Österreich-Ungarischen Monarchie. Die Lebensumstände waren eher beengt. Paul Celan schrieb um 1934 erste Gedichte, zu dieser Zeit besuchte er das Ukrainische Staatsgymnasium. Nach dem Abitur (1938) begann er in Tours (Frankreich) ein Medizinstudium, wechselte jedoch anschließend zur Romanistik. Im Jahre 1940 betätigte sich Celan als Dolmetscher bei den russischen Truppen, die in die Bukowina einmarschiert waren. Dann kamen die Deutschen. In Czernowitz wurde ein jüdisches Ghetto errichtet. Celans Eltern kamen im Konzentrationslager um, er selbst wurde zum Arbeitsdienst eingezogen. Als die Rote Armee 1944 erneut die Stadt Czernowitz besetzte, flüchtete Celan nach Bukarest. Über Wien gelangte er dann 1948 nach Paris, studierte dort Germanistik, arbeitete von 1959 an in Paris als Lektor für deutsche Sprache und Literatur und als Übersetzer. Er gehörte von 1968 an zu den Mitherausgebern der Zeitschrift „L'Ephérmère". Zwei Jahre später fand man den Schriftsteller tot in der Seine. Celan musste sich in einem zermürbenden Plagiatsstreit über viele Jahre gegen den Vorwurf wehren, den französischen Lyriker Iwan Goll literarisch „ausgebeutet" zu haben. Er litt in seinem letzten Lebensjahrzehnt oft unter starken Depressionen.

Diese biografische Einführung ist deshalb notwendig, weil Peter Ruzicka und Peter Mussbach mit ihrer „Celan"-Oper keine tönende Biografie verfassten, vielmehr die Stationen des Lebens von Celan in eine Vielzahl von Reflexions- und Erinnerungsmomenten gleichsam auflösten. Es entstand dabei auch nicht jener stets etwas wohlfeile Typus des Vergangenheitsbewältigungsdramas, sondern ein komplexes System von Erinnerungen, die quasi in Röhren aus der Vergangenheit wieder in das Licht der - unserer - Gegenwart zurückgeholt werden. Celans Existenz, künstlerisch überhöht und konzentriert in sieben großen Lyrikbänden, ist ohne den historisch-biografischen Hintergrund kaum zu begreifen. Es sind diese ständigen Bedrängungen, die die Seele des Menschen zu verletzen vermögen. Der Druck, den die rücksichtslose Außenwelt auf den Einzelnen ausübt, dringt ins Innere der Psyche und richtet dort furchtbare, oft tödliche Zerstörungen an. Nicht nur für Paul Celan gilt das, aber er darf als ein besonders eindringliches Beispiel für diese existentielle Not gelten.

Und seine Sprache? Sind diese traumatischen Bilder, die surrealistischen Visionen, die Celan in Sprache übersetzt, nicht ein zugleich verzweifelter wie oft auch grandios gelungener Versuch, das Unmögliche, das Unvorstellbare zu formulieren, oder besser: zu sagen? Bekannt ist Adornos Satz, dass sich „nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben ließen". Mit seiner „Todesfuge" widerlegte Celan Adornos Behauptung, die gleichwohl ihre Richtigkeit im Rein-Ästhetischen behält. Kunst aber kann auch das Furchtbarste erfassen, wenn das über sie hinausgehende Wissen, wenn Sensibilität und persönlich erlittener Schmerz, wenn die Erfahrung von Licht und tiefem Schatten des Lebens die künstlerische Form bestimmen und sinnstiftend erfüllen. Celans „Todesfuge" ist ein Beispiel dafür.

Der Komponist Peter Ruzicka, 1948 in Düsseldorf geboren, in einer Stadt also, die wie kaum eine andere nach dem Krieg neuen, äußeren Glanz entfaltete, der oft genug den Blick zurück zu verstellen vermochte, entwickelte -sozusagen in einem inneren Kontrastbild - ein feines Sensorium für Celans Sprache und Poesie. Ruzicka begriff den dunklen Grund, auf den Celans Dichtungen zurückverweisen: „Todesfuge " (1968/69), „...fragment..." (1970), „Gestalt und Abbruch" (1979), „...der die Gesänge zerschlug" (1985) - so heißen die Werktitel, letzterer als „Stele für Paul Celan" komponiert, nach Gedichten aus „Zeitgehöft".

„Celan" bedeutet, in gewissen Maßen, Zusammenfassung der Auseinandersetzung von Komponist und Dichter, zugleich aber auch Erweiterung und Darüber-hinaus-Gehen. „Celan" ist nicht nur eine szenische und musikalische Reflexion über Existenz und Wirkung des Schriftstellers, vielmehr auch eine über ein aktuell verstandenes Musik-Theater. Welche ästhetischen Möglichkeiten, welche Chancen einer avancierten Musikdramaturgie und Musik-Sprache bestehen, einen so komplexen und komplizierten Gegenstand wie Person, Schaffen und Weiterwirken Paul Celans auf einer doch gern zur Simplifizierung neigenden Opern-Szene zu erfassen? Ruzicka und Mussbach sichern sich im Vorfeld der Arbeiten vorsichtshalber ab, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, es könnte sich hier um eine Literaturoper oder um ein persönliches Dichterschicksal handeln. Sie gliedern das Libretto in sogenannte „Entwürfe", sieben an der Zahl, die jeweils in zahlreiche kleine und wenige größere Szenen unterteilt werden, die vorweg jeweils, wie in einem wissenschaftlichen Werk, Nummern tragen, also: 1.1 Paris. Eine Metrostation. Oder: 2.4 Ein Wartesaal in Deutschland, oder: 3.2 In einem Kaffeehaus in Bukarest, eine groß angelegte Simultanszene für sechs Gruppen, die in ihrer Struktur ein wenig an das komplettierte Pariser Gesellschaftsbild in Alban Bergs „Lulu" erinnert.

Die einzelnen Örtlichkeiten - außer den genannten noch eine Brücke über einem Fluss, immer wieder leere Zimmer, ein alter Kinosaal, Straßen - kehren häufig wieder, wie in einem Reigen, meist mit denselben Personen „besetzt", die sich jedoch gern anders verhalten und äußern: Wie in der Palimpsest-Forschung werden so die Zeitschichten vorsichtig nacheinander abgelöst, die sich über die Figur des Dichters Celan gelegt haben. Zum Vorschein kommen Erinnerungen an alles Geschehene, Erinnerungen, die weiterzuwirken scheinen, in denen auch wieder Gespenster auftauchen, die man schon im Horrorfundus für ewig und alle Zeiten verwahrt glaubte. Ruzickas „Celan" ist gerade in diesem Augenblick ein hochaktuelles Werk.

Diesem Einkreisen, Ablösen, Aufdecken des Textes und dessen Strukturierung folgt die Musik. Sie wirkt in ihren leisen Klängen, subtilen Tonsetzungen, verästelten Strukturierungen wie das hochkomplexe Funktionieren eines menschlichen Gehirns: Im Kopf entstehen albtraumhaft die Erinnerungen an eine Vergangenheit, von der sich der Mensch nicht zu lösen vermag. Die Erinnerungen drängen nach außen, in die Gegenwart, sie suchen nach einem Ausdruck: Dann bersten fast die Klänge, mit harten Schlägen markieren die Pauken (sechs Stück mit vier Spielern) dramatische Verknotungen, dann drängt auch die Musik in den unmittelbaren Ausdruck - so als wollte sie mit dem Zuhörer einen erregten Diskurs beginnen, ihn befragen, ihn zu Stellungnahme und Antwort förmlich zwingen. Ruzickas Komponieren schätzt solche oft sehr raschen Wechsel zwischen Distanziertheit und unmittelbarer „Attacke", sie will mit ihren Zuhörern aktiv dialogisieren.

Dann aber weicht sie auch ebenso plötzlich wieder zurück, implodiert gleichsam ins Leise, kaum noch Hörbare, in die Stille: Auch Nonos Geist weht wie von fern in Ruzickas „Celan"-Musik. Sie beeindruckt immer wieder auch durch ihre plastische Gestik, ihre feine Linearität, ihren Mut zu langgezogenen melodiösen Lineaments, die sich nicht-endend-wollend fortspinnen. Das Klangbild ist stets perfekt durchgehört, von genauester Formung des intendierten Ausdrucks, dabei von großer Farbigkeit in den instrumentalen Kombinationen, die mit der Besetzung des üblichen Sinfonieorchesters „hergestellt" wird.

Im szenischen und musikalischen Zentrum steht der „Vierte Entwurf", betitelt „Das Grauen - Bildlose Welten Ferner Gewissheit". Das Trauma des Holocaust wird als zentrales Moment im Leben und im Werk Paul Celans deutlich. Der große Chor schiebt sich von seitlich hinten in unendlich langsamen schreitenden Bewegungen allmählich auf die Bühne, die durch eine metallisch graue, perforierte Wand hinten abgeschlossen ist. Die Männer und Frauen tragen vornehmlich Unterkleider, sie erscheinen gleichsam schon „nackt", ausgezogen für das Ende, aber in hellem Weiß: Die Trauer trägt auch diese Farbe. Celan schreitet durch die langsam sich über die ganze Spielfläche verteilende Menge - genauer: es sind zwei Dichter, Celan I und Celan II, in die Mussbach und Ruzicka die Figur aufteilen. Wenn der Narr aus dem Souffleurkasten hervorschlüpft, wendet sich der Chor ab, schreitet wieder zur Gruppe sich schließend nach hinten in die Dunkelheit, die hinter der täuschenden Wand liegt.
Dem Regisseur Claus Guth gelingt hier ein suggestives, großes und tiefes Bild, nicht realistisch verzerrt - das würde auf dem Theater bei diesem Anlass immer misslingen, da könnte man zu Recht Adorno analog zitieren -, sondern von einer scheinbaren Schönheit, die nur noch schmerzt, weil man weiß, was sich dahinter verbirgt. So hat Guth auch in Salzburg die Schrecken in Glucks „Iphigenie" erfahrbar werden lassen.
Gut gelingen auch in den vielen kurzen Szenen, für die Christian Schmidt karge, suggestive, sinnfällige Räume entwarf, präzis gefasste Bilder, Belichtungen von Figuren und Situationen, gestische Signale und Verweise, Körperhaltungen, auch groteske Pointierungen, die zugleich in dichter Korrespondenz zur musikalischen Textur stehen. Eine eindringliche, oft faszinierende Regiearbeit, die uneitel dem Werk dient. Überzeugend werden auch filmische Sequenzen (CineNomad mit Nicolas Humbert & Werner Pezel) mit den theatralischen Aktionen verwoben, die Filmaktionen werden zum integralen Bestandteil der gesamten Szene.

Perfekt, glanzvoll, manchmal fast zu „schön" spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Marc Albrechts souveräner Direktion. Albrecht versteht es, aus der Musik deren gestische Plastizität, aus dem Klang die Transparenz zu „entbinden", die Strukturen der Kompositionen zu verdeutlichen. Andreas Schmidt als Celan I, Urban Malmberg als Celan II, Sabine Bohm als Celans Gefährtin Christine, Ulrike Staudel als Rachel, Friederike Meinel als Hilde, die hinreißende Figur des „Obers", die Rolf Tomaszewski in vielen Szenen variationsreich vorführt - sie alle und die vielen anderen solistisch Auftretenden demonstrieren wahrhaften Ensemblegeist, den auch der von Matthias Brauer einstudierte Chor offenbart. Die Dresdner Oper darf sich rühmen, eine der wichtigsten Musiktheaterschöpfungen der Gegenwart auf die Bühne gebracht zu haben. Die Operntheater in Mainz (2002) und Köln (2003) werden Ruzickas „Celan" in eigenen Inszenierungen nachspielen. Auch dieses Engagement ist höchst lobenswert.

Gerhard Rohde


 

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