HÖLDERLIN
Eine Expedition
Musiktheater in vier Akten
Text: Peter Mussbach
Musik: Peter Ruzicka
Peter Ruzicka hat die Komposition seines zweiten abendfüllenden Musiktheaters HÖLDERLIN abgeschlossen. Die Uraufführung findet am 16. November 2008 in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin statt, die das Werk auch in Auftrag gegeben hat.
In einer apokalyptischen Eislandschaft erwarten in eisiger Kälte sechs Frauen und sieben Männer den Tod. Ohne Erinnerung sind sie in diesem Postkatastrophen-Szenario den Elementargewalten und dem Strom der Evolution ausgeliefert. Für kurze Augenblicke durchzuckt sie unter dem sich öffnenden Himmel eine Ahnung von Leben. Nach und nach entdecken sie einander - doch statt aufeinander zuzugehen, beginnen sie einander zu bekämpfen.
Durch die Hitze des nun unerträglich heißen Himmels schmilzt das ewige Eis, und die Ruinen einer Stadt werden sichtbar. In einer verwirrenden Zeitreise werden die Männer und Frauen in ihr früheres Leben zurückgeworfen und finden sich im Strudel einstiger Verwicklungen, Verirrungen und Sehnsüchte wieder. Einsam und rastlos durcheilen sie ein Zerrbild des modernen Lebens mit Großraumbüros, Talkshows, Fitness-Studios und Eignungstexts, die sie in panische Angst versetzen.
Plötzlich finden sich die Figuren in einer intakten Großstadt wieder. Die rasende Zeit kommt zum Stillstand, und die Menschen werden in ihre volle Verantwortung genommen. Angstvoll erkennen sie die Stadt, in der sie einst gemeinsam lebten. Es entbrennt ein Streit darüber, wie das wiedererlangte Leben, die Chance, noch einmal von vorn zu beginnen, zu gestalten sei. Noch während die Auseinandersetzung eskaliert, explodiert die Szene.
Durch die Gewalt der Explosion wird die Gruppe auseinandergerissen. Vereinzelt taumeln die Menschen durch die zu Bewegung gewordenen Jahreszeiten - ohne es zu wissen, streben sie glücklich oder unglücklich liebend, sehnsüchtig oder verzweifelt unmerklich doch unaufhaltsam alternd ihrem Tod entgegen.
(Nähere Informationen zum Werk, pdf-Download, 324 KB)
ERINNERUNG UND VERGESSEN
6. Streichquartett mit Sopran (2008)
Eines der besten zeitgenössischen Werke aber ist Peter Ruzickas Streichquartett "Erinnerung und Vergessen", wo jene Ernsthaftigkeit, die in der Neuen Musik oft nur als Attitüde vorhanden ist, eine unerhörte Tiefe annimmt. Vom Minguet Quartett hervorragend intensiv und präzise interpretiert, hält das Werk trotz aller formalen Zersplitterung an jener Menschlichkeit fest, die man als gefühlstief, als geistreich, als intelligent beschreiben kann. Die Minguets spielten die vielfältigsten Klangfarben des Werkes mit einer derart starken Vorstellungskraft, dass das Klangergebnis ein unbegrenztes Dahinter eröffnet hinter dem Rauschen, Federn, Schweigen, Reißen - wo die Unbegrenztheit der Zeit herrscht, wie sie der Mensch im Erinnern und im Vergessen am deutlichsten erlebt. Dann singt die Zeit mit festem, transparenten Sopran und ist mit Hölderlin eine melancholische Feen-Göttin.
san, Dolomiten, 15. September 2008
Für den heutigen Zuhörer ist dieses halbstündige Werk eine durchaus faszinierende Begegnung mit der heutigen Ästhetik Peter Ruzickas, eine Begegnung, die bis zum letzten verlöschenden Ton faszinieren kann. Und zwar zunächst einmal durch seine extremen technischen Anforderungen. Dann durch die phantastischen Klangbilder, die in der Ausreizung der spieltechnischen Möglichkeiten entstehen, seien es Flageolettpassagen, ganz feine Glissandi, Collegno-Partien, die das Interesse am Weitergehen fesseln. Vor allem aber sind es die Stimmungen, die durch diese Klangbilder entstehen, die zwar von einer Explosion eingeleitet werden und phasenweise starke Nervosität verbreiten, die sich aber über weite Strecken in einem dynamisch geheimnisvollen Bereich bewegen, der das Zuhören geradezu erzwingt, der die Phantasie beteiligt, vor allem, wenn sich die vier Instrumente vereinzeln.
Thomas Ahnert, Saale-Zeitung, 5. Juli 2008
Partitur: edition sikorski 8595
"Carte blanche" für Peter Ruzicka
Es war ein perfekt komponiertes Konzert der Gegensätze und Entsprechungen. Arnold Schönbergs amerikanischer Optimismus der "Ode an Napoleon" widersprach der gleichzeitig am Ende des Zweiten Weltkriegs entstandenen "Metamorphosen"-Trauer von Richard Strauss. Beide Stücke spielen auf Beethoven an, dessen "Große Fuge" den Abend beschloss. Der Biennale-Chef, Komponist und Kulturmanager hatte dieses beziehungsreiche Programm zusammengestellt. Sein Streichquartett mit Sprecher ...sich verlierend" kontrastierte mit den rhetorischen Klassikern, auch wenn das in Schönbergs "Ode" angemessene Pathos eines Rezitators (Thomas E. Bauer) bei einem zeitgenössischen Werk über das Verstummen fragwürdig scheint. Ruzickas Taktstock bewährte sich trefflich: Der Dirigent verwandelte die oftmals zu süffigen "Metamorphosen" in eine herbe Trauermusik. Die Streicher des Münchener Kammerorchesters spielten Beethovens und Schönbergs schwierige Musik, als wäre sie ganz leicht. Das Publikum im Herkulessaal war mit Recht begeistert.
Robert Braunmüller, AZ München, 25. Februar 2008
Das schwarze Loch des Todes
Die Hamburger Symphoniker spielten bestens gestimmt unter Peter Ruzicka - Elisabeth Leonskaja und Michael Roll als Solisten
Als Peter Ruzicka noch Intendant der Hamburgischen Staatsoper war und damit von 1988 bis 1997 auch den Philharmonikern vorstand, versagte er es sich, auf die Programme seines Kollegen Gerd Albrecht, des seinerzeitigen Generalmusikdirektors, Werke aus eigener Feder zu setzen. Bescheiden trat der Komponist hinter den Kulturmanager zurück. Ruzicka trennte konsequent zwischen seiner der Kunst dienenden Intendantenpflicht und der Kür künstlerischer Selbstverwirklichung.
Nachdem er im vergangenen Jahr nun auch die künstlerische Leitung der Salzburger Festspiele an Jürgen Flimm abgegeben hat, steht jetzt das genuin schöpferische Tun im Mittelpunkt des Terminkalenders des Mehrfachbegabten: Als Jurist, Manager, Dozent, Komponist und Dirigent war Ruzicka gleichermaßen aktiv, was ihn zu prädestinieren scheint, nun gar in das Schattenkabinett der möglichen neuen Gralshüter der Bayreuther Festspiele aufgenommen zu werden. Wagner-Walhalls Erbin Katharina hat ihn neben Massimo-Maestro Christian Thielemann zum Dritten im Bunde auserkoren, möchte mit dem Dreamteam ihrem Vater Wolfgang Wagner nachfolgen.
Solange all dies jedoch noch Zukunftsmusik ist, widmet sich Ruzicka seiner e igenen Kunst. So geschehen am vergangenen Wochenende, als er zweimal die Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle dirigiert hat. Sehr persönlich gehaltene Musik, die dem Hinscheiden eines Freundes zugedacht ist, eröffnete er die Konzerte: Peter Ruzickas "Memorial" ist nach eigenem Bekunden ein "Requiem für Giuseppe Sinopoli". Der nur zwei Jahre ältere komponierende Dirigent hatte am 20. April 2001 Verdis "Aida" an der Deutschen Oper Berlin geleitet, als er während der Vorstellung einen Herzinfarkt erlitt, dem er am selben Abend erlag. Zuvor hatte Ruzicka seinen Kollegen bereits dafür gewonnen, bei den Salzburger Festspielen einen geplanten Schwerpunkt mit Opern von Richard Strauss entscheidend zu prägen. Dazu sollte es nicht kommen.
Und so enthüllt das "Memorial" auch die persönliche Verstörung über den plötzlichen Tod des Freundes. Wie mit einem brachial heraustrompeteten Angstschrei bricht es wie aus dem Nichts hervor. Dräuendes Blech, düsteres Kontrabass-Gemurmel und donnernde Paukenschläge dienen dem Komponisten zu einer alptraumhaft eruptiven Klangrede, die sich nach ihren zugespitzt expressiven Ausrastern in Sekundenschnelle zurückzieht in ein beredtes Schweigen, eine gleichsam tosende Stille. In ihr schien man die letzten Schläge eines pochenden Herzens zu vernehmen. Weit aufgemachte Klangräume von extremer Tiefe bis zu ebensolcher Höhe rissen die riesige Wunde des Todes auf, ließen die unheimliche Distanz zwischen Hier und Dort geradezu physisch spürbar machen. "Das Stück atmet Schwärze", befand Rezensent Klaus Geitel anlässlich der Berliner Aufführung. Dieses "Memorial" ist kurz, Ruzickas Kunst der fragmentarischen Verdichtung macht es dennoch zu einem Stück großer Musik.
Solche sollte auch noch folgen. Zunächst Mozarts "Konzert für zwei Klaviere Es-Dur", ursprünglich in Salzburg für die beiden Klavier spielenden Mozart-Geschwister ersonnen. Mit Elisabeth Leonskaja und Michael Roll hatten die Symphoniker zwei kongenial empfindsame Solisten verpflichtet, die sich gemeinsam mit dem luzide phrasierenden und höchst animierten Orchester in wunderbar spielerischer Durchlässigkeit begegneten. Das partnerschaftlich konzertierende Wetteifern belebten die Pianisten mit ihren komplementären Persönlichkeiten: Die Leonskaja mit ihrer geistgetränkt subtilen Leichtigkeit und einer golden tönenden, klar konturierten Anschlagskultur, Roll mit seinem warm abgemischten, sanft verschatteten Bronzeton.
Mit Johannes Brahms' "Vierter" ließ Ruzicka ein symphonisches Schwergewicht folgen, das die Symphoniker denn auch mit elegisch singendem Streicherklang und farbig feinen Holzbläsern adelten. Herausragend in Ruzickas durchaus traditioneller Lesart: mit welch weit ausschwingender Ruhe er das Andante moderato zum lyrischen Kraftzentrum von Brahms' letzter Symphonie aufwertete.
Peter Krause, DIE WELT, 11. Dezember 2007
Ein Mann - Vier Elemente
Peter Ruzicka dirigiert die Wiener Symphoniker
Nicht von Peter Ruzicka als Komponist, Musikwissenschaftler, Manager soll an dieser Stelle die Rede sein. Im Falle seines Dirigats bei Wien Modern seien ganz banal die vier Urelemente zur Erläuterung herangezogen. Denn der ehemals künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele und Bayreuther Noch-Nicht-Vielleicht-Intendant führte die Symphoniker durch ein gefühlvolles Feuerwerk.
Im Wasser eröffnete Ruzicka den Abend, mit Luciano Berios "Bewegung". In seichtem Wellenschlag perpetuierten die Streicher ihr hoffnungslos seufzendes Ostinato. Mit für Helmut Lachenmann so typischen Ausbrüchen entfachten aggressive Bläsereinwürfe bei seinem "Tableau für Orchester" wahres Feuer. Dank Ruzickas peniblen Befehlen gelang ein ungetrübtes Klangerlebnis.
Weitaus erdverbundener und ausdrucksstark erlebte "Vorecho", Auftragswerk des Dirigenten für das Orquésta Sinfonica de Madrid, seine österreichische Erstaufführung. Ruzicka schaffte in diesen "Acht Ansätzen für Großes Orchester" intensiv einen breiten Bogen: von Sandsturm über Tristanakkord und Karfreitagszauber zu hochfrequenten Obertönen, von melodiösen Kantilenen zu meditativen Orgeltonketten.
Schade für die Hardliner der Moderne, die bereits zur Pause das Feld räumten. Das Element Luft wurde nun ausgiebig, von ätherisch bis exstatisch, bedient. Georg Friedrich Haas schuf eine stimmlich ausgewogene Orchestrierung von Skrjabins 9. Klaviersonate. Und bei dessen "Poème de l'extase" holte Peter Ruzicka alles aus den Symphonikern heraus. Selten ging das Ensemble so sehr aus sich heraus.
Daniel Wagner, Wiener Zeitung, 23. November 2007
DIE SONNE SINKT
Acht Gesänge nach Fragmenten von Friedrich Nietzsche für Bariton und großes Orchester (1997-2007)
Uraufführung: 25. August 2007, Hamburg, Schleswig-Holstein Musik Festival,
Solist: Dietrich Henschel, NDR Sinfonieorchester,
Dirigent: Peter Ruzicka
Im Rahmen der Festivalschiene "Anbruch", die das SHMF und die NDR-Redaktion "das neue werk" alljährlich zusammenführt, bestritt das urlaubserfrischte NDR-Sinfonieorchester einen glänzend besuchten Abend im Rolf-Liebermann-Studio. Als Gastdirigent sorgte der Komponist Peter Ruzicka für Takt und Tempo. Und für die Erstaufführung seiner nunmehr vollendeten Orchestergesänge auf Textsplitter des hellsichtig sinnverwirrten Nietzsche. Ein Zyklus, der sich in mehreren Inspirationsschüben aus anfänglichen "Klavierliedern" zu dem jetzigen Achtteiler "Die Sonne sinkt" für Bariton und Orchester auswuchs.
Erstaunlich, was Ruzicka - mit Mahler und Webern urverbunden und der (romantischen) Ästhetik des Fragments zugeneigt - der Gattung des Orchesterlieds nach Mahler und Strauss abzugewinnen vermag. Wobei er seiner Neigung zu lyrischer Sternverdunkelung und Gebrochenheit - siehe "Elis" nach Georg Trakl und "...der die Gesänge zerschlug" nach Paul Celan - entschieden treu bleibt.
Nietzsches Zeilenbrüche und erratische Zentnerworte führen ihn auf Klangfiguren und Farbtönungen, die das hymnische Gestammel des umnachteten Dichters, seine vielsagenden Gedankenstriche und die nichtssagenden Pünktchen seiner Herausgeber ins Metaphysische verlängern. Herausragend für mich der "Selbsthenker" - "müdes Rätsel" eines Fragezeichens, "in zwei Nichtse eingekrümmt" - und der finale Ferngesang "Ich sehe hinauf". Das Zeichen, das der wahnsinnige Poet im totenstillen Lärm des himmlischen Sternenmeers funkelnd gegen sich sinken sieht, lässt Ruzicka mehrfach als Piccoloflöten-Streif mit ausklingendem Zimbelschlag aufzucken.
Drumherum Ungarisches - dem Namen oder dem Sinne nach. Jungstar Daniel Müller-Schott hob Ligetis frühes Cello-Flüsterkonzert mit seinem altvenezianischen Meisterinstrument in immaterielle Sphären am Rande der Vernehmlichkeit. Bravo! Der Kodály-Schueler András Szöllösy schiebt in seiner "Musica per orchestra" dumpfe Basswelten gegen lichte Luftspiegelungen. Am Ende genoss das Publikum das Heldenleben des ungarischen Aufständischen Lajos Kossuth, das der 22-jährige Bartók im Liszt-Eifer und Strauss-Rausch sinfonisch bedichtete.
(Lutz Lesle, DIE WELT, 27. August 2007)
MAELSTROM
für großes Orchester (2007)
Als Auftragswerk der Düsseldorfer Symphoniker entstand ein groß besetztes Orchesterwerk, das anlässlich der Wiedereröffnung der umgebauten Tonhalle Düsseldorf am 4., 6. und 7. April 2008 uraufgeführt werden wird. Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von John Fiore werden das Werk vor einer Wiedergabe der 8. Symphonie von Gustav Mahler spielen. Der Titel verweist auf musikalisch-dynamische Strömungsvorgänge ("Sog", "Strudel"), die musikalisches Material des Musiktheaters HÖLDERLIN aufgreifen.