UR- UND ERSTAUFFÜHRUNGEN 2006/07
"...UND MÖCHTET IHR AN MICH DIE HÄNDE LEGEN"
Vier Fragmente von Hölderlin für Bariton und Klavier (2006/07)
Uraufführung: 3. März 2007, Tübingen, Turm, Thomas E. Bauer (Bariton), Siegfried Mauser (Klavier) - 12. März 2007, München, Bayerische Akademie der Schönen Künste
(Auftragswerk der Hugo-Wolf-Gesellschaft und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste)
Einen ganz anderen Zugriff wagte Peter Ruzicka für "Was ist Gott", ein Exzerpt aus "An die Madonna" und zwei "Empedokles"-Fragmenten, die orchestriert auch in seiner Hölderlin-Oper (Uraufführung am 16. November 2008 an der Berliner Staatsoper Unter den Linden) erscheinen werden. Das zweite Fragment gab dem vierteiligen Zyklus den Titel ("...und möchtet ihr an mich die Hände legen...") und erwies sich wie "Die Erscheinung der Madonna" als großartiger Dialog zwischen einem intensiven Klavierpart und einer ebenso expressiven Singstimme, beides von Siegfried Mauser (Klavier) und Thomas Bauer mit größter Ausdrucksdichte präsentiert.
(Süddeutsche Zeitung, 15. März 2007)
Erstaunlich die expressive Kraft der emphatisch geführten, mitreißend strömenden Gesangslinien. Dass Ruzickas Musik von reflexiven, zweiflerischen Momenten weiterhin durchzogen bleibt, stellte freilich das dritte der vier Fragmente, der vielleicht größte Wurf des Zyklus', unter Beweis: Die philosophische Frage "Was ist Gott", die Ruzicka als Melodram komponiert, bei dem die gesprochenen Worte im Renonanzraum des Klaviers zu magischem Nachhall finden, der weder Echo noch Antwort ist, hätte musikalisch kaum ingeniöser realisiert werden können.
(Schwäbisches Tagblatt, 6. März 2007)
Druckausgabe: Edition Sikorski 8558 CD: Thorofon CTH 2509
VORECHO
Acht Ansätze für großes Orchester (2005/06)
Uraufführung: 22. Februar 2006, Madrid, Orquesta Sinfónica de Madrid, Dirigent: Cristóbal Halffter
Deutsche Erstaufführung: 9. März 2007, Berlin, Philharmonie (Uraufführung der Neufassung)
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Dirigent: Peter Ruzicka
(Auftragswerk des Orquesta Sinfónica de Madrid)
Aus seinem Echo wächst das Werk. Also vernehmen wir ein Vorecho, genauer die Uraufführung einer erweiterten Fassung jenes Vorechos, das den Schatten eines abendfüllenden Bühnenwerks in die Philharmonie wirft. So kündigt sich Hoelderlin von Peter Ruzicka an. 2008 soll die Expedition (Untertitel) nach einem Libretto von Peter Mussbach an der Berliner Staatsoper ins Licht treten. Was jetzt davon erklingt, während das Deutsche Symphonie-Orchester dem Komponisten am Pult mit hohem Engagement folgt, sind Acht Ansätze. Ausdirigierte Stille, ein immaterieller Klang - und man tritt in eine Welt Ruzickas ein, die Wanderungen zwischen den Dichtern Celan, Hofmannsthal, Bachmann und Handke einschließt. Fragmentarisches, Sich-Verlieren: Ansätze - das scheue Wort steht für das Kontrastprogramm zu dem agilen Orchester- und Festspielintendanten Ruzicka. Charakteristisch ist - in der Rolle der Streicher wie der Pauke - das Ausgearbeitete und zugleich Flüchtige dieser Musik. Versteht sich, dass Hoelderlin keine klingende Biografie sein wird.
(Der Tagesspiegel, 11. März 2007)
PARERGON
Sechs Skizzen zu 'Hölderlin' für Klavier (2006/07)
Uraufführung: 1. Juli 2007, Klavier-Festival Ruhr, Moers, Christopher Tainton, Klavier
(Auftragswerk des Klavier-Festivals Ruhr)
Druckausgabe: Edition Sikorski 8560
CD-Produktion: Initiativkreis Ruhrgebiet/Fonorum LC 15080 (Beilage zu FonoForum März 2008)
...INS OFFENE...
Musik für 22 Streicher (2005/06)
Uraufführung: 4. Dezember 2005, Luzern KKL, Festival Strings Lucerne, Dirigent: Achim Fiedler
Österreichische Erstaufführung: 23. März 2006, Salzburg, Mozarteum-Orchester, Dirigent: Ivor Bolton
Deutsche Erstaufführung: 17. November 2006, Frankfurt, hr-Sinfonieorchester, Dirigent: Peter Ruzicka (Neufassung 2006)
(Auftragswerk der Festival Strings Lucerne)
Druckausgabe: Edition Sikorski 8541
CD: Thorofon CTH 2509
DIE SONNE SINKT
Acht Gesänge nach Fragmenten von Friedrich Nietzsche für Bariton und großes Orchester (1997-2007)
Uraufführung: 25. August 2007, Hamburg, Schleswig-Holstein Musik Festival, Solist: Dietrich Henschel, NDR Sinfonieorchester, Dirigent: Peter Ruzicka
Im Rahmen der Festivalschiene "Anbruch", die das SHMF und die NDR-Redaktion "das neue werk" alljährlich zusammenführt, bestritt das urlaubserfrischte NDR-Sinfonieorchester einen glänzend besuchten Abend im Rolf-Liebermann-Studio. Als Gastdirigent sorgte der Komponist Peter Ruzicka für Takt und Tempo. Und für die Erstaufführung seiner nunmehr vollendeten Orchestergesänge auf Textsplitter des hellsichtig sinnverwirrten Nietzsche. Ein Zyklus, der sich in mehreren Inspirationsschüben aus anfänglichen "Klavierliedern" zu dem jetzigen Achtteiler "Die Sonne sinkt" für Bariton und Orchester auswuchs.
Erstaunlich, was Ruzicka - mit Mahler und Webern urverbunden und der (romantischen) Ästhetik des Fragments zugeneigt - der Gattung des Orchesterlieds nach Mahler und Strauss abzugewinnen vermag. Wobei er seiner Neigung zu lyrischer Sternverdunkelung und Gebrochenheit - siehe "Elis" nach Georg Trakl und "...der die Gesänge zerschlug" nach Paul Celan - entschieden treu bleibt.
Nietzsches Zeilenbrüche und erratische Zentnerworte führen ihn auf Klangfiguren und Farbtönungen, die das hymnische Gestammel des umnachteten Dichters, seine vielsagenden Gedankenstriche und die nichtssagenden Pünktchen seiner Herausgeber ins Metaphysische verlängern. Herausragend für mich der "Selbsthenker" - "müdes Rätsel" eines Fragezeichens, "in zwei Nichtse eingekrümmt" - und der finale Ferngesang "Ich sehe hinauf". Das Zeichen, das der wahnsinnige Poet im totenstillen Lärm des himmlischen Sternenmeers funkelnd gegen sich sinken sieht, laesst Ruzicka mehrfach als Piccoloflöten-Streif mit ausklingendem Zimbelschlag aufzucken.
Drumherum Ungarisches - dem Namen oder dem Sinne nach. Jungstar Daniel Müller-Schott hob Ligetis frühes Cello-Flüsterkonzert mit seinem altvenezianischen Meisterinstrument in immaterielle Sphären am Rande der Vernehmlichkeit. Bravo! Der Kodály-Schueler András Szöllösy schiebt in seiner "Musica per orchestra" dumpfe Basswelten gegen lichte Luftspiegelungen. Am Ende genoss das Publikum das Heldenleben des ungarischen Aufständischen Lajos Kossuth, das der 22-jährige Bartók im Liszt-Eifer und Strauss-Rausch sinfonisch bedichtete.
(Lutz Lesle, DIE WELT, 27. August 2007)
Druckausgabe: Edition Sikorski 1977 (Orchesterfassung) . Edition Sikorski 805 (Klavierfassung)